Das Rätsel um Boeing N844AA (2023)

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Von: Andreas Sieler

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Das Rätsel um Boeing N844AA (1)

Vor 20 Jahren startet eine Boeing in Angola und verschwindet wenig später spurlos. Die Spekulationen halten bis heute an – ein Unglück, Diebstahl oder Versicherungsbetrug?

Es ist der 25. Mai 2003. In Angolas Hauptstadt Luanda geht gerade die Sonne unter, es ist etwa 18 Uhr. Auf dem großen internationalen Flughafen Quatro de Fevereiro sind Techniker damit beschäftigt, eine in die Jahre gekommene Boeing 727-223 wieder flugtauglich zu machen. Die Maschine stand einige Monate herum. Dann passiert es: Das Flugzeug rollt los, auf die Startbahn, es beschleunigt und hebt schließlich ab. Es gewinnt an Höhe, dann verschwindet es im Abendhimmel. Bis heute ist es nicht wieder aufgetaucht.

Funkkontakt zum Tower gab es keinen. Auch hatte das Flugzeug den Transponder ausgeschaltet, der Positionsdaten senden würde. Die Beleuchtung war ebenfalls aus. Über das, was sich an jenem Abend vor 20 Jahren in Luanda zugetragen hat, wird bis heute viel spekuliert. Geheimdienste und das FBI sollten sich auf Jahre damit beschäftigen.

Vor allem drei Personen werden im Zusammenhang mit dem Verschwinden des Flugzeugs immer wieder genannt: Ben Charles Padilla, einer der Mechaniker, die an der Boeing gearbeitet hatten – er war wohl an Bord, ist seit jenem Tag vermisst und könnte das Flugzeug geflogen haben. Maury J., dessen Unternehmen das Flugzeug gehörte, und Jeff S., der die Boeing am darauffolgenden Tag eigentlich kaufen wollte.

Mit der Boeing sollte Diesel in die Diamantenminen in Angola transportiert werden

Über die Hintergründe des Verschwindens der Boeing gibt es drei plausible Theorien. Erstens: ein Versicherungsbetrug. Zweitens: ein Diebstahl, um das Flugzeug für einen Terroranschlag einzusetzen. Drittens: ein Diebstahl, um es zu verkaufen beziehungsweise auszuschlachten. Interessant ist zunächst ein Blick auf die Geschichte jener Boeing 727: Seit den 1970er-Jahren bis 2001 war das Flugzeug im Liniendienst der American Airlines, ein großer Passagierjet, ausgelegt für knapp 190 Fluggäste. Nächster Inhaber war eine Leasingfirma aus Florida namens Aerospace Sales and Leasing – das Unternehmen, das Maury J. gehörte. Bis zu ihrem Verschwinden war die Maschine in den Farben der American Airlines gehalten: silbern, mit einem blau-weiß-roten Längsstreifen. Kennung am Heck: N844AA.

Eine aufwändige Recherche des Autors Tim Wright für das „Smithsonian Magazine“ beleuchtete 2010 die letzten Monate der Boeing vor ihrem Verschwinden, wo sie zum Gegenstand unseriöser Deals wurde. Eine Kurzfassung: Die Sitzreihen der Maschine wurden ausgebaut und wichen großen Tanks. Mit der Boeing sollte so Diesel in die Diamantenminen im kriegsgebeutelten Angola transportiert werden, einige solche Flüge haben auch stattgefunden. Hinter dem Deal stand demnach ein südafrikanischer Unternehmer. Das Vorhaben warf aber offenbar nicht genug Gewinn ab und außer einer Anzahlung auf den Millionenbetrag für das Flugzeug erhielten Maury J. und seine Leasingfirma in Florida wohl kein weiteres Geld. Zudem wurde die Boeing demnach durch die Dieseltransporte ordentlich heruntergewirtschaftet und war nur noch ihre Motoren wert. Dennoch fand sich wieder ein Käufer – Jeff S. – und das Flugzeug sollte am 26. Mai, dem Tag nach dem Verschwinden, zur Übergabe nach Johannesburg geflogen werden. Dem Bericht zufolge wird Maury J. erst an diesem Tag klar, dass das Flugzeug geklaut worden ist. Das FBI wird verständigt.

Der Fall lässt beim FBI und den US-Geheimdiensten die Alarmglocken schrillen

Die Anschläge auf das World Trade Center in Manhattan sind zu diesem Zeitpunkt gerade mal gut eineinhalb Jahre her. Dass nun eine gestohlene Boeing 727, noch dazu mit einem Extra-Fassungsvermögen für abertausende Liter Kraftstoff, beim FBI und den US-Geheimdiensten die Alarmglocken schrillen lässt, versteht sich von selbst.

Akten der damaligen Ermittlungen des FBI sind mittlerweile nicht mehr vollständig als geheim eingestuft und liegen, mit teils geschwärzten Passagen, der FR vor. Sie bestätigen im Großen und Ganzen die bereits 2010 erzählte Version der Geschichte. Es lässt sich herauslesen, dass die größte Sorge der US-Ermittlerinnen und -Ermittler seinerzeit darin bestand, dass mit dem Flugzeug ein Anschlag auf westliche Niederlassungen in Afrika verübt werden sollte. Auch Anzeichen für einen möglichen Anschlag in Israel wurde nachgegangen – konkret waren die Hinweise aber offenbar nie. So spricht bis heute nichts dafür, dass die Boeing als fliegende Bombe für einen Terroranschlag gestohlen wurde.

In den Monaten und Jahren nach dem Diebstahl kam es zu mehreren vermeintlichen Sichtungen der Boeing, wie aus Presseberichten hervorgeht. Auch an das FBI wurden Theorien zum Verbleib des Flugzeugs herangetragen. Mal ging es dabei um ein Militär-Hangar im Kongo, in anderen Fällen ist die Rede von Beirut, Burkina Faso, Nigeria, Sri Lanka und weiteren Orten. Keine der Meldungen konnte bestätigt werden, manche aber ausgeschlossen.

Vermisste Flugzeuge

Dass große Passagiermaschinen verschwinden oder gestohlen werden, ist ein sehr seltenes Ereignis. Der bekannteste Fall ist die verschwundene Malaysia-Airlines-Maschine mit der Kennung MH370, die 2014 vermutlich in den Indischen Ozean gestürzt ist. Es ist der einzige Fall in der jüngeren Luftfahrt-Geschichte, in dem ein voll besetztes Passagierflugzeug verschwindet. Lediglich einzelne Trümmerteile wurden bis heute an der afrikanischen Küste angespült.

Vor 1970 gibt es mehrere Fälle verschwundener Flugzeuge, nach 1990 kaum noch welche. Die Gründe liegen auf der Hand: Fliegen wurde im Laufe der Jahre sicherer, die Luftraumüberwachung weiterentwickelt, Rettungs- und Suchaktionen professioneller. Damals wie heute sind verschwundene Flugzeuge Gegenstand teils wilder Verschwörungstheorien, mehrere verschwundene Flugzeuge trugen etwa zu mythischen Geschichten um das Bermudadreieck bei. In den meisten Fällen gibt es aber einfache und rationale Erklärungsansätze. ansi

Eine Sichtung sorgte seinerzeit für Aufsehen – ein kanadischer Pilot glaubte, die Boeing am 28. Juni 2003 in Conakry, der Hauptstadt des westafrikanischen Guineas, gesehen zu haben. Demnach habe der Flieger eine neue Kennung (3XGOM), aber die letzten beiden Buchstaben der Kennung N844AA seien noch lesbar. „Es besteht absolut kein Zweifel, dass es sich um dasselbe Flugzeug handelt, die alte Registrierung ist deutlich sichtbar“, sagte der Pilot dem britischen „Guardian“. Bald darauf war das Flugzeug dann wieder verschwunden. Späteren Medienberichten zufolge soll es sich um eine Verwechslung mit einer anderen Boeing 727, die ebenfalls von American Airlines ausrangiert wurde, gehandelt haben: Ein Flugzeug mit der Kennung 3XGDO, dessen vorherige Bezeichnung ebenfalls auf -AA geendet haben soll. Kurios: Dieses Flugzeug, in Diensten einer Airline aus Guinea verunglückte wenig später, an Weihnachten 2003, in Cotonou in Benin. Dabei starben 141 Menschen, 22 überlebten den Absturz. Erneut kamen Gerüchte auf, es könnte sich um die in Angola verschwundene Boeing handeln. Das FBI kam aber zu dem Ergebnis, dass das abgestürzte Flugzeug eine andere Registrierungsnummer hatte.

Meldungen von Sichtungen wie diese befeuerten jedoch den Verdacht, dass die Boeing Teil eines weiteren windigen Deals geworden sein könnte. Ebenso möglich – oder Teil dessen – wäre ein Versicherungsbetrug: Zu dem Verlustgeschäft, das Maury J. und Aerospace Sales and Leasing mit dem Deal in Angola gemacht hatten, kamen mittlerweile beachtliche Parkgebühren auf dem Flughafen in Angola hinzu – mehrere Zehntausend Dollar. Aus den FBI-Akten geht zudem hervor, dass Ben Charles Padilla, der als Mechaniker für Maury J.’s Aerospace Sales and Leasing die Boeing am Tag ihres Verschwindens wieder fit machen sollte, in Verhandlungen zuvor diese Gebühren deutlich reduziert haben soll.

Eine mögliche Schlüsselfigur ist der Mechaniker Ben Charles Padilla

Gegen einen Versicherungsbetrug spricht, dass man sich die Mühe gemacht hatte, für das Flugzeug einen Käufer zu suchen, der zu diesem Zeitpunkt bereits nach Südafrika gereist war. Der Käufer, Jeff S., ist in der Flugzeugvertriebs- und Leasingbranche tätig und ebenso wie Aerospace Sales and Leasing aus der Region Miami. Laut einer Zeugenaussage in den Ermittlungsakten sollte der Verkaufspreis für N844AA etwa 450 000 Dollar betragen, als Teil eines Geschäfts aus zwei zum Verkauf stehenden Flugzeugen. Eine andere Zeugenaussage nennt derweil eine vielfach höhere Versicherungssumme für den Fall eines Diebstahls des Flugzeugs – etwa drei Millionen Dollar –, dabei handelt es sich aber um keine Information aus erster Hand. Ob diese Summe oder ob überhaupt etwas bezahlt wurde, ist nicht bekannt.

Laut des Smithsonian-Berichts jedenfalls waren Käufer und Verkäufer am 26. Mai 2003 in Johannesburg. Jeff S. bezeugte demnach, dass Maury J. beim Erhalten der Nachricht vom Verschwinden der Boeing bei ihm war und völlig verwirrt und erstaunt gewesen sei. Daher glaube er nicht an einen Versicherungsbetrug.

Bleibt noch ein Blick auf die mögliche Schlüsselfigur des Falles: den Mechaniker Ben Charles Padilla, der mit dem Flugzeug verschwunden ist. Für Maury J. arbeitete der damals 50-jährige Padilla bereits seit langer Zeit, doch ist er Berichten zufolge ebenso ein ehemaliger Mitarbeiter von Jeff S., dem Käufer des Flugzeugs. Während Jeff S. Padilla demnach als unzuverlässig beschreibt, wird er von Maury J. als verlässlich dargestellt. Das passt, denn Presseberichte und Zeugenaussagen beim FBI zeichnen von Padilla ein ziemlich uneindeutiges Bild: Während seine Familie und sein Chef von seiner Unschuld überzeugt sind und gut über ihn reden, vermitteln andere den Eindruck, Padilla sei inkompetent, ein Casanova und großspuriger Geschichtenerzähler.

Wer war alles an Bord der Maschine?

Als Padilla an jenem 25. Mai 2003 mit der Wartung der Boeing beschäftigt war, war noch mindestens ein weiterer Mann mit an Bord – ein Kongolese, über den nicht viel mehr als sein Name bekannt ist. Auch dieser Mann ist seither verschwunden. Unklar ist, ob sich weitere Personen oder Techniker zum Zeitpunkt des Diebstahls an Bord der Boeing befunden hatten. Und obwohl Padilla offenbar keine Lizenz zum Fliegen einer Boeing 727 besaß, geht das FBI davon aus, dass er als erfahrener früherer Militärpilot durchaus in der Lage gewesen sein könnte, das Flugzeug zu steuern. Wie aus den Ermittlungsakten hervorgeht, war einem Zeugen zufolge angeblich Treibstoff für einen sechsstündigen Flug in den Tanks der Boeing. Genug, um jeden beliebigen Flughafen in Afrika anzusteuern. Dass das Flugzeug der Luftraumüberwachung entgehen konnte, ist neben dem ausgeschalteten Transponder durch eine zumindest seinerzeit generell löchrige Radar-Abdeckung der Region zu erklären.

Trotz geschwärzter Namen in den FBI-Akten lässt sich daraus herleiten, dass Maury J. den Ermittlerinnen und Ermittlern gegenüber für seinen Angestellten die Hand ins Feuer legt: Padilla müsse im Flugzeug „unter Zwang“ gehandelt haben. Ein Such-Steckbrief der US-Behörden zu Padilla ist noch heute im Internet zu finden. Padilla könnte Informationen zum Verbleib des Flugzeugs haben, ist darauf zu lesen.

Die Fragen, die sich von Anfang an gestellt haben, bleiben unbeantwortet. Wer war alles an Bord der Maschine? Ist sie irgendwo in Afrika gelandet, ausgeschlachtet oder umgespritzt worden – oder ist das Flugzeug gar noch in Betrieb? Eine weitere Möglichkeit, über die sich wohl nie Gewissheit erlangen lässt: Ist das Flugzeug noch in der Nacht des Diebstahls in den Atlantik gestürzt? Als im Laufe der Zeit immer weniger Hinweise eingehen, stellt das FBI die Ermittlungen bis 2006 nach und nach ein. Bis heute gibt es keine heiße Spur, um das Rätsel um das Verschwinden von N844AA zu lösen.

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Author: Kelle Weber

Last Updated: 12/05/2023

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