1.Einleitung
- Inseinem 1993 erschienenen Buch Informationstechnologie und Gesellschaftschreibt Wilhelm Steinmüller:
- "Wasinformatisierte Gesellschaft bedeutet, ist in seinem negativen Aspektunter der Überschrift der Großtechnologie und des Sicherheitsstaatesabgehandelt worden. In seinem positiven Aspekt sind konkreteUtopien (...) erst neuerdings bekannt geworden. Informatik-nahe Entwüfedagegen fehlen oder verbleiben im unverbindlich-wertkonservativ Prophetischen."
Dieinformatisierte Gesellschaft ist die vernetzte Weltgesellschaft.Steinmüller wagte 1993 die folgende Prognose:
allemden wachsenden intermediären Bereich (der Verbände, Parteienund der Reproduktion) führt. Durch Industriefertigung und Computerpoweraus zentralisierten
oderverteilten Großrechenzentren wird programmierte "Kommunikation" zurRegel, zwischenmenschliche Kommunikation immer mehr zur Ausnahme. Wirklichnutzen können diese mächtigen Instrumente allerdings nur Konzerneund
Großforschungsanlagen genauer all diejenigen, die aufgrund finanzieller oder anderer Machtressourcendazu ausgestattet sind." [29, 321-322]
Esist sicherlich noch zu früh, um Bilanz zu ziehen bezüglich derFrage was es heißt Menschsein in einer informatisierten Weltgesellschaft.Der Ausdruck Weltgesellschaft suggeriert eine Einheit, bei der alleUnterschiede nivelliert sind. In Wahrheit aber bringt das noch sehrjunge Phänomen der Globalisierung auf der Basis der Weltvernetzungkeine Angleichung aller kulturellen Unterschiede, sondern wie UlrichBeck im Vorwort des Buches Perspektiven der Weltgesellschaft betont[1, 7ff] eine Vermischung oder Hybridisierung. Dies macht für Beckden Unterschied zwischen Globalisierung und Globalismus aus [2]. Das heißtwiederum nicht, daß das Internet automatisch ein menschliches Weltbewußtseinbewirken könnte.
Pointiertschreibt Beck:
JürgenHabermas hat in einem Beitrag mit dem Titel Kants Idee des Ewigen Friedens.Aus dem historischen Abstand von 200 Jahren auf die verändertenBedingungen hingewiesen, die Kants Auffassung vom Weltbürgerrechtzugrunde liegen. Kant traute im Hinblick auf den Weltfrieden drei Tendenzen,nämlich der republikanischen Regierungsart, der Kraft des Welthandelsund der Funktion der politischen Öffentlichkeit. Er konnte aber nichtim voraus erkennen, daß Republiken sich zu nationalistischen Staatenentwickeln würden, wo die Menschen nur als Maschinen gebraucht wurden.Der freie Handelsgeist mündete in die kapitalistische Ausbeutung,in Imperialismus und Bürgerkrieg. Schließlich rechnete Kant"natürlich noch mit der Transparenz einer überschaubaren, literarischgeprägten, Argumenten zugänglichen Öffentlichkeit, die vomPublikum einer vergleichsweise kleinen Schicht gebildeter Bürger getragenwird." Dabei konnte er nicht voraussehen:
2.Was ist ein Netz?
- DerTopos des Netzes ist philosophisch und kulturgeschichtlich ein ergiebiges,bisher aber wenig ausgeschöpftes Thema. Das Deutsche Wörterbuchvon Jacob und Wilhelm Grimm belehrt uns über Bedeutung und Gebrauchdieses Wortes folgendermaßen:
II.das gewebe der spinnen (der netzspinnen), womit sie fliegenu. dgl. fangen (...)
III.ein netzartiges, wie ein netz ausgebreitetes oder umschlieszendesgebilde (...)
IV.ein webernest (...)
V.ein netze oder garnstern (...)
VI.der gelbe gitterfalter" [17, 635ff]
(Joh.21, 6).
undverweist auf ambivalente Erfahrungen mit der Kreativität." [22, 10]
Wirverstehen heute das Wort Netz nicht mehr aus der Sicht einer Agrargesellschaftund verbinden damit, im Gegensatz zum überlieferten metaphorischenGebrauch, meistens positive, lebensdienliche und vor allem andere technischeKonnotationen als die der Fangnetze. Wir denken zum Beispiel an Straßen-und Schienennetze, an Telefonnetze und Flugverbindungen, an Stromnetzeund nicht zuletzt an das Internet. Dieses Wort hat außerdem inzwischeneine für viele Wissenschaften paradigmatische Erklärungsfunktion.Bücher wie Geist im Netz des Neurobiologen und PsychiatersManfred Spitzer [28] oder Lebensnetz des Physikers Fritjof Capra[5] machen für ein allgemeines Publikum verständlich undplausibel, wie etwa Bedeutungen landkartenförmig im Gehirn gespeichertwerden oder wie Ökosysteme auf der Basis eines komplexen Netzwerkesvon Beziehungen, dem Lebensnetz, funktionieren. DieGrenzen der computerbezogenen Netzmetapher und die Irrwege der KI-Forschungwerden zugleich paradoxerweise sichtbar. Dies hat alles handfeste Konsequenzenfür unsere Lebensgestaltung. Mit Bezug auf die Plastizitätunseres Gehirns schreibt Manfred Spitzer:
Wirbenutzen zwar die heutigen informationstechnischen Netze, als ob sie bloßWerkzeuge wären, in Wahrheit aber sind wir selbst netzartig,wobei es bei dieser Kennzeichnung offen bleibt, was das Besondere des NetzwesensMensch [24] ausmacht. Wir sind Mit-Teilende oder In-Formierendesowie zugleich die von den Netzen her Bestimmten und In-Formierten.Wir sind die in symbolischen und technischen Gestalten Lebenden, die dasNaturleben in von uns geschaffenen technischen Netzen auffangen und unsdabei selbst reformieren, deformieren und transformieren. Wir suchen auchim neuen informationstechnischen Labyrinth nach einem Ariadnefaden. Derist aber, so Ekkehard Martens, "gerissen, hoffentlich" und er fügthinzu:
3.Vernetzung als Lebenskunst
- Vielleichtist die Postmoderne - oder sollten wir sie lieber Cybermoderne nennen?- nicht der Schnee von gestern, sondern der Regen von morgen, der einigeder von der Moderne ausgetrockneten Felder ich meine nicht die Sumpfgebiete wieder zum Blühen bringen könnte. In einem Beitrag fürdie italienische Zeitschrift Telèma mit dem Titel Es istein Netz ohne Mittelpunkt, aber man bekommt einen Preis: die Freiheit,bemerkt Gianni Vattimo, daß
diePhilosophen des 19. Jahrhunderts vom Bild des Motors und der Mechanik beherrschtwaren. Die Antipoden Heidegger und Adorno befürchteten dabeiden Verlust der Dimensionen von Unvorhersehbarkeit und Freiheit menschlichenExistierens. Mit dem Modell des Netzes wird aber eine neue Einstellungder Philosophie zur Technik und ihren existentiellen Auswirkungen möglich.Die Moderne ist die Zeit des Motors, des Reisens und der mechanischen Industrie.Sie gründet, philosophisch gesehen, in der Idee eines die Peripheriebewegenden Zentrums. Eine Idee, die sich kulturgeschichtlich in der Vorstellungeiner Europäisierung der Welt ausdrückte. Der Ausdruck Postmodernebedeutet in diesem Zusammenhang die Ablösung jenes Motormodells durchdie zunächst etwas vage Vorstellung eines Netzes, das eines letztenKnotens oder, wie die Philosophen sagen, einer Letztbegründung, nichtbedarf. Am Ende dieses Jahrhunderts läßt sich mitgutem Grund behaupten, daß die Philosophie angesichts des Sichgestaltensdes Netzes die Frage nach Freiheit und Geschichte überdenken muß[31].
DieMotor-Metapher führte dazu, daß wir unser Selbst in einem Innerensetzten, in dem sich die Außenwelt reproduzierte und als Führungsquellefungierte. Unser Gehirn, so der Neurophilosoph Thomas Metzinger,bringt aber lediglich eine Ich-Illusion hervor, oder sogar nicht einmaldas, denn hinter dem Netzwerk unseres Gehirns verbirgt sich eigentlichNiemand, so daß wir mit Niemandem Ich-Illusion zu tun haben(Metzinger). Ich, pardon, Niemand denkt dabei an Odysseus und denKyklopen Polyphemos: Da lachte dem Odysseus die Seele vor Freude als ermerkte wie durch seine List die anderen Kyklopen dem Polyphemos nicht zurHilfe eilten, als dieser rief: "Niemand würgt mich" (Od. IX, 400ff).Mir scheint, daß Metzinger einer sozusagen kyklopischen Täuschungerliegt, denn er bleibt trotz und auch wegen der Netzmetapher in der modernenSubjektivität in Form ihres neuronalen Substrats gefangen. Er schreibt:
SherryTurkle [30] und Esther Dyson [12] erzählen uns einige Geschichten,in welchen die Konturen einer Cyberkultur - unsere Erfahrungen mit Freiheitund Geschichte in einer vernetzten Weltgesellschaft - allmählich sichtbarwerden. Es ist, so Turkle, nicht eine Kultur der Berechnung, sondern eineKultur der Simulation, die sich "auf unsere Vorstellungen von Bewußtseinund Persönlichkeit, Körper und Identität, Selbst und Maschineauswirkt." [30, 10] Es ist eine Kultur, die sichdurch Attribute wie: dezentriert, fließend, nichtlinear, assoziativund undurchsichtig von der linearen, logischen und hierarchischen Industriekulturder Moderne unterscheidet [30, 22]. Nicht die Informatiker, sondern dieUser sind das Subjekt dieser Kultur. Der Schwerpunkt zwischenmenschlicherKommunikation verlagert sich, um es pointiert auszudrücken, vom faceto face zum interface. Undurchsichtigkeit bedeutet zugleichKomplexität und Dezentrierung. Die Komplexität der Kommunikationstechnologiewird zum Maßstab des Menschseins, nicht umgekehrt. Die romantischeBefürchtung der Inhumanität schwächt sich angesichts gelungenerund gescheiterter Alltagserfahrungen der Kultur der Simulation immer mehrab.
SherryTurkle erblickt in den MUDs eine paradigmatische Form des Menschseins,deren Struktur, wie ich hinzufügen möchte, kaum etwas mit einerKommunikationsgemeinschaft à la Apel oder Habermas zu tunhat. Es ist eine schauspielerische Gesellschaft von Masken (lat.personae), von Verstellungen und Simulationen. Was dabei zum Ausdruckkommt, ist nicht mehr und nicht weniger als ein neues Ethos oderein Lebensstil, der der Vielfalt in uns selbst und in den anderen Rechnungtragen will und dabei Identität, Transparenz und Konsens auf der Folievon Undurchsichtigkeit, Rollenspiel und Dynamik sichtbar werden läßt.Eine multiple Persönlichkeit im pathologischen Sinne wird dannzum Symptom einer positiv aufzufassenden Vielfalt, deren Funktionierensich nicht mehr allein nach den modernen Maßstäben einesrationalen Diskurses von Vernunftwesen mit einer festen personalen(nationalen, ethnischen, sprachlichen, kulturellen usw.) Identitätrichtet, sondern diese immer wieder als vorläufiges Ergebnis einerSymbiose erblickt. Die Massenmedien sind das Spiegel der Moderne. Allmählichkommt die Rückseite dieses Spiegels zum Vorschein - im Spiegel derWeltvernetzung.
GianniVattimo hat das von Karl-Otto Apel und Jürgen Habermas proklamierteAufklärungsideal einer unbegrenzten Kommunikationsgemeinschaftkritisiert [33]. Es ist letztlich das platonische Ideal einer Gemeinschaftvon Ideen oder In-Forma-tionen und einer transparenten Vernunftoder einer engelischen Gemeinschaft reiner Vernunftwesen. Die Globalisierungbringt, demgegenüber, eine Vielfalt von Gemeinschaften mit ihren partikulärenRationalitäten und eine komplexe Weltgesellschaft zum Vorschein. InFaktizität und Geltung stellt Habermas die ideale Kommunikationsgemeinschaftnicht als Ideal, sondern als eine Folie dar, "auf der dasSubstrat unvermeidlicher gesellschaftlicher Komplexität sichtbarwird." [19, 192] Unvermeidlich will sagen: leider wohl, dennHabermas blickt weiterhin auf die Selbstorganisation der Gemeinschaft alleinunter dem Blickpunkt diskursiver Verständigung mit dem Ziel der friedlichenBeilegung von Konflikten. Wenn er in diesem Zusammenhang von Kommunikationsmedienspricht, dann hat er die Massenmedien vor Augen, die eine abstrakteÖffentlichkeit herstellen [19, 452]. Wörtlich schreibt er:
Vattimoerwähnt mehrmals Heideggers Auffassung des Gestells als "einerstes, bedrängendes Aufblitzen des Ereignisses" [20, 27], und vergleichtsie mit dem von Walter Benjamin beschriebenen Schock des Kunstwerkesim Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit [32, 187] [32, 68ff].Das soll bedeuten, daß gerade mitten in der vernetzten Weltgesellschaft,in der alle Bezüge zwischen Mensch und Welt in die Instrumentalisierungder digitalisierten Sprache einzugehen scheinen, wir die Möglichkeithaben, diese Totalität selbst ästhetisch zu erfahren. Mit ästhetischerErfahrung meine ich eine Erfahrung der Befremdung, der Unbegründetheit,der Unheimlichkeit oder des Un-zu-Hause-seins, beider die Dinge in ihrem bloßen Da-sein erscheinen, indem sieaus dem gewöhnlichen Netz von Bedeutungs- und Verweisungszusammenhängenherausgenommen werden, so daß wir mit der nackten Tatsache ihresnicht weiter erklärbaren Daß-seins konfrontiert werden. Vattimoschreibt:
Lebenin einer Cyberkultur bedeutet einmal mit Ähnlichkeiten undVerwandschaften vertraut zu sein. Diese können ganz unterschiedlichsein, wie die von Wittgenstein erwähnten Ähnlichkeiten zwischenBrettspielen, Kartenspielen, Ballspielen, Kampfspielen usw.:
Einigesdeutet darauf hin, daß allmählich eine Kultur entsteht, dieden durch die Buchkultur hervorgebrachten Umwälzungen nicht nachsteht.So wird heute zum Beispiel der freie Zugang zum Netz (freedom of access)mit demselben Eifer proklamiert und verteidigt, wie früher die Pressefreiheitoder die Redefreiheit. Die globale Vernetzung ist die Art und Weise, wiewir heute jene Totalität erfahren, die die Metaphysik das Seiendeim Ganzen nannte. Unseren Zugang zur Realität bezeichneich in Abwandlung des Satzes von Berkeley: "Das Sein der Dinge sei ihrWahrgenommensein" ("Their esse is percipi") [3, 62] mit demSatz: esse est computari. Das bedeutet keineswegs, alles sei bloßvirtuell, sondern es bedeutet, daß wir meinen, etwas in seinem Seinerklärt und verstanden zu haben, wenn wir es digitalisieren. Wir leben,mit anderen Worten, im Horizont einer digitalen Ontologie. Die sogenannteVirtualität ist bereits
aufmassive Weise unsere Alltagsrealität. Der vielleicht radikalste Wandel,den wir zur Zeit erleben, ist, neben dem Wandel unseres Verhältnisseszur Sprache, der Wandel unseres Im-Raum- und In-der-Zeit-seins. Wo sindwir, wenn wir im Netz sind? Wir sind zwar hier und jetzt, in Sinopezum Beispiel, aber wir lösen mit unserem digitalen und symbolischenHandeln eine Wirkung dann und dort, irgendwo in der Welt, aus. Indiesem informationellen Wirkungszusammenhang gilt: actio non est reactio[13]. Und ferner: die symbolische Fernwirkung oder actio digitalis indistans dieses digitalen Handelns überschreitet von Anfang andie Grenzen des physikalischen Mediums. Das Schlagwort von der Globalisierungsteht für die konkreten Folgen dieser veränderten Möglichkeitenunseres In-der-Welt-seins in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft.
Gegendie These esse est computari lassen sich folgende Einwändevorbringen:
1)Wenn diese These stimmt, dann bedeutet dies eine Überbietung und keineÜberwindung der Moderne;
2)Die These gilt nicht, wie wir spätestens seit Gödel wissen;
3)Die These gibt den Stand der Diskussion in der Informatik in den 70er Jahrenwieder.
Inzwischenhat die Informatik diese These hinter sich gebracht, etwa zugunsten derAuffassung, daß das Sein das Gestaltet-sein ist.
Dazumöchte ich folgendes sagen. Ich bin selbst kein Vertreter oderVerteidiger dieser These. Ich meine, daß sie zwar eine möglicheAntwort auf die Frage: Was bedeutet Sein? darstellt, ohne aberdiese Frage selbst zu thematisieren. Ich meine aber auch, daß sienicht nur eine weit verbreitete These ist, sondern, mehr noch, daßsie den ontologischen Glauben unserer
Zeitwiedergibt, vergleichbar zum Beispiel dem Materialismus im 19. Jahrhundert.Ich halte diese These zugleich für eine Überbietung undeine Überwindung - es wäre besser hier, in Anschluß anHeidegger und Vattimo von Verwindung zu sprechen - der Moderne.Sie ist eine Überbietung der Moderne, weil sie die Berechenbarkeitdes Seins technisch dingfest macht. Und sie ist zugleich eine Überwindungoder Verwindung der Moderne, weil sie die technische Berechnung nur aufder Basis eines Auswahlprozesses durchführen kann. Was daraus hervorgegangenist, ist kein Weltkalkül, sondern eine Weltvernetzungmit den oben angedeuteten Zügen von Dezentralisierung, Nichtlinearität,Undurchsichtigkeit und, paradoxerweise, Unberechenbarkeit. Letzteres liegtnicht nur darin begründet, daß keine Technik absolute Sicherheitbieten kann, sondern auch darin, daß die Weltvernetzung ein flüssigesoder unbeständiges Medium darstellt, in dem sich unsere eigene menschlicheUnbeständigkeit widerspiegelt. Das Netz ist trotz oder geradeaufgrund der prekären Behausung in Form von Homepages, einun-heimliches Medium. Damit wäre auch eine hinweisende Antwort aufden zweiten Einwand gegeben.
Dendritten Einwand könnte man wie folgt ins Lateinische übersetzen:esse est informari. Denn das lateinische Wort informatio,von dem sich unser Begriff Information ableitet, ist eine Übersetzungder bedeutungsschweren griechischen Begriffe idea, eidos, morpheund typos, die allesamt mit dem Vorgang des Gestaltens oderFormgebens im materiellen und/oder geistigen Sinne zu tun haben [11]. Seinals idea ist die Grundeinsicht der platonischen Metaphysik. Auchwenn wir dies heute nicht auf der Grundlage der geistigen, sondernder technischen Software tun, dann bedeutet diese These (esseest informari) eine Wiederholung im Sinne einer Erwiderung griechischerMetaphysik. Mit anderen Worten, der Einwand will über die neuzeitlicheBerechenbarkeit hinaus, indem er auf ihre vorausgehende metaphysische Grundlagezurückgreift. Ich meine, daß wir nur dann zu einem gelassenenAbstand gegenüber der Moderne oder zu einer Verwindungder Moderne gelangen können, wenn wir die Seinsfrage als Seinsfrageoffenlassen und wachhalten. Der Ausdruck Cybermoderne will dieseSpannung zwischen Überbietung und Überwindung der Moderne festhalten.
DieSchrift und insbesondere die Buchkultur hatte uns zu Textdeutern mutiert.Die vornehmste Aufgabe unseres (westlichen) Menschseins wurde aus dieserSicht und in Anlehnung an die Deutungskunst des griechischen Gottes HermesHermeneutik genannt. Hans-Georg Gadamer veredelte dann die Texthermeneutikzu einer philosophischen. Im Artikel Hermeneutik des HistorischenWörterbuchs der Philosophie schreibt er:
Götterden Sterblichen ausrichtet." [16, 1061]
Schluß
- DerSinn von Bote und Botschaft verändert sich entsprechend dem jeweiligengeschichtlichen Kontext. Er ist in einer mythischen Kultur anders als imphilosophischen Kontext der sokratischen Gesprächstechnik. Er verändertsich durch das Christentum mit seinem missionarischen Auftrag. Aufklärungund Buchkultur verbreiten das Ideal der Zensurfreiheit. Im Horizont derdigitalen Weltvernetzung erreichen Boten und Botschaft ein Maximum an Universalitätund Gleichzeitigkeit [7].
Wersind wir, wenn wir im Cyberspace sind? Esther Dyson teilt uns ihre Erfahrungfolgendermaßen mit:
daswird mir immer klarer. Und doch habe ich die Wahl." [12, 328]
DieCyberkultur ist eine Boten- und Botschaftskultur. Wer sind wir, wenn wirim Netz sind? Wir sind Weltboten aus Sinope.
Literatur
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